Autorin: Dr. Sandra Foltin
Qualifikationen:
- Dr. rer. nat. Biologie, Universität Essen
- Attorney-at-law, Jurisdoctor, Universitiy of Baltimore
- Bachelor of Art Psychology & German literatur, Towson University
Titel: Black Dog – Depressionen und andere psychische Erkrankungen beim Hund
Verlag: Kynos, 168 Seiten
Publikationsdatum: 29.08.2023
Inhalt „Black Dog“
Das Buch „Black Dog“ behandelt diverse psychische Erkrankungen von Hunden. Behandelt werden dabei Themen wie Esstörungen, Angststörungen, Generalisierte Angststörung, Zwangsstörungen, ADHS, PTBS, Asperger (hier aufgezählt, da dies die Autorin als Kapitel nutzt, mir ist bewusst, dass Asperger keine eigenständige Diagnose mehr darstellt und welche historische Problematik dahinter steckt), Autismus, Depressionen und Trauer. Als definitorische Grundlage für die psychischen Erkrankungen wird das ICD-10 (International Statistical Classification of Dideases and Related Health Problems) und das DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) verwendet [S. 14f.]. Als Grundlage werden also die diagnostischen Richtlinien aus der Humanmedizin genutzt, die mittlerweile veraltet sind, da ICD-11 als Grundlage seit 2022 verfügbar ist [1]. Sie geht damit davon aus, dass Menschen und Hunde psychisch so ähnlich sind, dass eine Adaption möglich ist: „Die Tatasche, dass diese Medikamente [Psychopharmaka] bei Hunden wirken, spricht für gemeinsame biologische Mechanismen der Stimmungsregulation.“ [S. 14].
Fehlende Diagnostik
Wenn wir über die Übertragbarkeit von Humanmedizin auf Hunde reden, müssen wir unbedingt auch über Unterschiede reden. In der Humanmedizin ist es für die Diagnose einer psychischen Erkrankung üblich, eine Person zu konsultieren, die im Idealfall auf die vermutete Erkrankung auch spezialisiert ist. Das sind Menschen, die viele Jahre Grundstudium und Zusatzausbildungen hinter sich haben und die dadurch eine breite Expertise erlangt haben [2]. Solche Experten gibt es für Hunde nicht. Es gibt zwar Verhaltenstierärzt*innen, das sind Tierärtz*innen mit einer Zusatzausbildung im Bereich Hund und Hundeverhalten, die über den Gehirnstoffwechsel und die Bedürfnisse von Hunden Bescheid wissen [3]. Diese sind jedoch in der Dimension nicht annähernd mit Psychotherapeut*innen und Psycholog*innen im Humanbereich vergleichbar. Das bedeutet, dass eine Übertragbarkeit der Humanmedizin auf den Hund zwar mögich ist, dass jedoch in vielen Bereichen Spezialist*innen fehlen, die sich explizit mit psychischen Erkrankungen und deren Übertragbarkeit auf Hunde befassen.
Denn ohne Fachpersonal, das umfangreich dafür ausgebildet ist, eine Diagnose für Hunde stellen zu können, ist jede durch Laien gestellte Diagnose genau das: Eine durch Laien gestellte Diagnose. Für eine umfangreiche Diagnostik gehört weit mehr dazu, als das Verhalten auf Grundlage eines 168 Seiten Buches einer psychischen Erkrankung zuzuordnen:
- gesundheitlicher Checkup
- Ausschluss von Schmerzen
- Ausschluss von Magen-Darm-Problemen
- Ausschluss von Stoffwechselerkrankungen
- Ausschluss von Allergien
- etc.

Dass die Gesundheit das Verhalten maßgeblich beeinflusst, ist unumstritten. Wenn unser Hund also unerwünschtes Verhalten zeigt, gilt es zuallererst genau zu schauen, welche körperlichen Faktoren vorhanden sind, die das Vehralten negativ beeinflussen [3]. Erst dann kann von psychischen Faktoren ausgegangen werden, die ich an der Stelle nicht einmal abstreiten möchte. Natürlich können Hunde psychisch belastet sein oder Probleme entwickeln. Es fehlt aber an umfangreicher Diagnostik und Fachliteratur für Hunde. „Black Dog“ ist dahingehend einzigartig. Es gibt zwar Bücher, die sich auf den Zusammenhang von Gesundheit und Verhalten beziehen (z. B. „Hundeverhalten unter der Lupe“ von Celina del Amo, „Schmerzen und Verhalten“ von Dr. med. vet. Patrick Blättler-Monnier und Katrien Lismont, „Die Psyche der Hunde“ von Robert Mehl).
Ein Buch mit 168 Seiten, das jede psychische Ausprägung auf wenigen Seiten abhandelt, ist trotz umfangreicher Quellenlage ein Anfang in diesem wichtigen Thema, nicht mehr. Denn genau das ist das Problem: Es gibt kaum Fachliteratur in diesem Bereich. Es gibt einige Einzelstudien und Fallbeispiele aber keine Werke, die den aktuellen Forschungsstand zusammenfassen. Dahingehend ist „Black Dog“ ganz klar Pioniersarbeit. Die Einordnung, dass es in vielen Bereichen noch an weiterführender Forschung und Untersuchungen fehlt und dass es noch viele Unklarheiten und Unsicherheiten gibt, sieht in „Black Dog“ wie folgt aus:
„Die Erforschung psychischer Beeinträchtigungen bei Tieren steht noch am Anfang. Die Ursache für psychische Erkrankungen zum Menschen gleichzustellen, weil das Verhalten dem vom Menschen ähnlich ist, muss deswegen genau diskutiert werden.
[…] Wir wissen nicht genau, inwieweit Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit bei unseren Hunden verbreitet sind. […]“ [S. 8f.]
Im gleichen Absatz, in dem sie einordnet, dass es nur wenige wissenschaftliche Grundlagen gibt, schreibt sie dann:
„Psychische Probleme bei Hunden sind häufig eine Reaktion auf eine Veränderung in ihrem Leben. Manche Hunde sind sehr sensibel und können schon bei scheinbar kleinen Dingen Depressionen oder Ängste entwickeln. […]
Hauptauslöser aller psychischen Erkrankungen beim Hund ist jedoch der Mensch: Durch schlechte Zuchthygiene, gewaltbasierte Trainingsmethoden, Welpenvermehrer und den Einsatz diverser Zwangsmittel. Zudem können wir auch die eigenen Befindlichkeiten auf unseren Hund durch Synchronizität oder emotionale Ansteckung übertragen.
Zu einer verantwortungsvollen Hundehaltung gehört demnach, dass wir uns um die eigenen und die psychische Gesundheit unserer Hunde sorgen.“ [S. 9f]
Einerseits schreibt Foltin, dass es noch keine Grundlage gebe, andererseits stellt sie die Ursache für Psychische Erkrankungen beim Hund direkt als gegeben dar. Da es sich um die Einleitung handelt, wohlgemerkt ohne Quellenangaben. Es ist oft also gar nicht so klar, wie sicher eine Aussage ist oder eben nicht, weil die wissenschaftliche Einordnung nur am Anfang in der Einführung erfolgt und die Bewertung der Quellen komplett ausbleibt. Insgesamt wird der Inhalt aus „Black Dog“ als Gegeben dargestellt, obwohl viel Material einfach aus dem Humanbereich transferiert wurde und es je nach Themenbereich kaum valide Daten gibt.
Stigmatisierung
Im Humanbereich bedarf es in Deutschland einem langwierigen Studium der Psychologie und einer zusätzlichen Ausbildung in einer psychologischen Einrichtung, um psychotherpeutisch mit Menschen zu arbeiten und Diagnosen zu erstellen [2]. Laien diagnostizieren aus gutem Grund keine psychischen Erkrankungen, weil es dabei viel zu beachten gibt und ein Bias, also die eigene Erwartungshaltung, dahingehend schnell im Weg steht. In Deutschland wird seit sehr langer Zeit daran gearbeitet, psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren. Das bedeutet auch, dass versucht wird, Klisches abzubauen und stereotype Vorstellungen zu reduzieren [4].
Jeder kann Pathologisieren
Ein Buch, das der breiten Masse zugänglich gemacht wird und Diagnostik für Laien ermöglicht, öffnet die Möglichkeit zur Diagnostik von Hunden durch Laien. Also durch Menschen, die keinerlei Ausbildung im Bereich der Psychologie haben. Eine Aufklärung über die psychischen Befindlichkeiten von Hunden ist absolut wünschenswert und sinnvoll. Dies ginge jedoch auch ohne die Schubladisierung und Pathologisierung von Hunden, die von der vermeindlichen Norm abweichen. Es wäre zum Beispiel relativ einfach möglich, über die Individualität von Hunden darauf einzugehen, dass unterschiedliche Fähigkeiten im Umgang mit Reizen, unterschiedliche Grade der Resilienz, unterschiedliche Konfliktstrategien andere Herangehensweisen brauchen und den Hund auch in seinen Möglichkeiten einschränken können. Leidet der Hund unter seinen psychischen Kapazitäten, kann ein Verhaltenstierarzt hinzugezogen werden, der individuelle Medikation und Therapie bespricht [3].
Ein Buch, das Halter*innen weiter dahingehend sensibilisiert, dass es sich um Individuen handelt, die unterschiedliche Fähigkeiten und Bedürfnisse mit sich bringen, das wäre ein gutes Buch, das Hunden wirklich helfen würde. Ein Buch jedoch, bei dem bei Menschen hängen bleibt, dass „Hunde sich durchaus bei ihren Besitzern „anstecken“ können, wenn diese psychische Probleme haben.“[5], ist ein Buch, das Pathologisierung fördert, Stigmatisierung vorantreibt und Hunden nichts bringt, außer dass ihre Besitzer jetzt nach einer pathologischen Ursache für das Verhalten ihres Hundes suchen und sich womöglich noch selbst dafür verantwortlich machen, dass der Hund Probleme hat.
Defizitäre Darstellung der Psyche
Insgesamt stellt das Buch psychische Erkrankungen defizitär dar. Das bedeutet, dass psychische Erkrankungen so beschrieben werden, als stellen sie einen Mangel dar. Unerwünschtes Verhalten (so genannt, weil der Mensch definiert, was problematisch ist) wird in dem Buch als Verhaltensstörung[S. 30] beschrieben. Wer sich also nicht so Verhält, wie es vom Durchschnittshund erwartet wird, ist gestört oder zeigt zumindest ein Problem. Die Worte Verhaltensstörung und Verhaltensproblem problematisieren den Hund. Dabei müssen wir eigentlich immer zuerst berücksichtigen, ob das Problem ein Problem ist, weil der Mensch dies so sieht. Denn für den Hund ist es in erster Linie einfach Verhalten.
Es kann für ihn ein Problem sein, wenn er darunter leidet. Aber diese Abgrenzung ist in dem Buch nicht vorhanden. Es wäre interessant zu wissen, was ist jeweils menschliche Zuschreibung und was ist für den Hund selbst wirklich schlimm. Ist die Abweichung vom gewünschten Durchschnittshund für den Menschen ein Problem oder wirklich für den Hund? Sind andere Formen der Kommunikation, veränderte Impulsivität, gesteigerte Aktivität und gesteigerte Mobilität wirklich ein Problem für den Hund oder sind sie es für den Menschen, der gerne einen entspannten und ruhigen Begleiter neben sich hätte?
Eine deifizitäre Darstellung der psychischen Erkrankungen suggeriert, dass diese Probleme immer schlimm für die Betroffenen und deren Umfeld sind. Ihre Eigenschaften und Bedürfnisse werden abgewertet. Dabei ginge es eigentlich darum, ihre individuellen Bedürfnisse zu sehen und so zu nehmen, wie sie sind und ihnen bei Bedarf zu helfen. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Individuum als hat „anhaltende Defizite in zwei Kernbereichen“ beschrieben wird oder als „hat in zwei Kernbereichen Bedürfnisse nach XY“. Defizitäre Darstellung stigmatisiert, wertet ab und hilft den Betroffenen nicht, mehr Verständnis von ihrem Umfeld zu bekommen. Hier einige Beispiele für defizitäre Darstellungen im Buch „Black Dog“:

„Bei Personen mit Autismus-Spektrum-Störung, deren Hauptsymptom eine gestörte Kommunikation ist, gibt es keine Blinzelsynchronisation mit anderen [55]. Daher tritt die Blinzelsynchronisation potenziell bei zwei Individuen auf, die effektiv kommunizieren können.“ [S. 25]
„Häufig bezeichnet man Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störungen auch als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoirs auswirken. ASS ist durch anhaltende Defizite in zwei Kernbereichen gekennzeichnet, die bereits in der frühen Entwicklungsphase vorhanden sein müssen: (a) sozio-kommunikative Störungen, d. h. Defizite im kommunikativen Verhalten, beeinträchtiger sozialer Austausch und schlechte interaktionelle und emotionale Synchronität […] und (b) eingeschränkte, sich wiederholende Verhaltensmuster, d. h. stereotype motorische Bewegungen, enge, fixiterte Interessen und Beharren auf Gleichförmigkeiten und Routine[355].“ [S. 99]
„Diese Wahrnehmung der Unvorhersehbarkeit macht Hunde mit ASS unfähig zum Meta-Lernen […]. Die Befunde, dass Probanden mit ASS gute Leistungen bei visuellen Erkennungs- und Unterscheidungsaufgaben erbringen[337], aber ihre exekutive Aufkermsakeit atyisch ist und sie oft den wichtigsten Punkt verfehlen[338], scheinen ihre Schwierigkeiten beim Meta-Lernen zu unterstützten. Die Besonderheiten im Verhalten sind charaktersiiert durch eingeschränkte, sich wiederholende und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten. Alltägliche Aufgaben werden statt und routiniert ausgeführt.“ [S. 101]
„Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist bei Hunden auch bekannt als Hyperkinese. ADHS ist durch eine Reihe von Symptomen gekennzeichnet, zu denen Unaufmerksamkeit, erhöhte motorische Aktivität und eine Tendenz zu aggressivem Verhalten oder Impulsivität gehören.[245][246] Die betroffenen Hunde zeigen häufig ein schlecht angepasstes Sozialverhalten.“ [S. 76]
„Bei Hunden zeigen sich negative Veränderungen wie erhöhte Ängstlichkeit und Überreaktivität, eine beeinträchtigte Anpassung an Konfliktsituationen sowie kognitive Verhänderungen wie Lerndefizite und eine veringerte Aufmerksamkeitsspanne.“ [S. 113]
„Zentral beeinflusst die Mensch-Hund-Bindung die Anfälligkeit für Depressionen. Verunsicherung, unsicherer Beindungsstukruren und chronische Deprivationserlebenisse (Verlust von Bindungspartnern durch Tod oder Trennung) können Depressionen beim Hund verursachen oder intensivieren.“ [S. 116]
Es wäre ein Leichtes, psychische Erkrankungen als Bedürfnisspektrum wahrzunehmen. Also ganz im Sinne des bedürfnisorientierten Hundetrainings. Stattdessen wird das Verhalten immer wieder problematisiert und als Mangel dargestellt. Als sei es etwas Schlimmes, im Autismus- und / oder ADHS-Spektrum zu liegen. Und ja, das kann für manche Betroffenen tatsächlich schlimm und einschränkend sein und ihr Leben negativ beeinflussen. Insgesamt haben alle Lebewesen unterschiedliche Bedürfnisse, um in ihrem Alltag und in der Gesellschaft zurecht zu kommen.
Menschen mit ADHS oder Autismus oder psychischen Erkrankungen wie Depressionen haben grundsätzlich dieselben Bedürfnisse wie alle anderen Menschen auch: Sicherheit, Wohlbefinden, Anerkennung, Selbstwirksamkeit, Erfüllung der Grundbedürfnisse, etc. In manchen Bereichen brauchen sie in unserer Gesellschaft, wie sie aktuell ist, Unterstützung, Verständnis, Rücksichtnahme und Hilfestellung. Je nach dem, wer eben vor einem steht. Wie stark sich das Ganze auf den Alltag und das Leben in der Gesellschaft auswirkt ist individuell und für manche Menschen schwieriger und für manche einfacher. Das ist nichts Schlechtes, kein Defizit. Es sind Menschen. Menschen, die am alltäglichen Leben teilnehmen und ein Teil unserer Gesellschaft sind.
Manche Menschen leiden. Die Welt, so wie sie aktuell ist, zu schnell, zu laut, zu streng für sie. Deswegen sind ihre Bedürfnisse nach Ruhe, reduzierter Reizdichte und fehlenden Hierarchien kein Defizit ihrer Persönlichkeit. Kein Individuum sollte aufgrund seiner Bedürfnisse abgewertet oder stigmatisiert werden. Erst wenn wir die Bedürfnisse anerkennen, können wir darauf eingehen und sie erfüllen.
Fazit
Das Buch „Black Dog“ macht im Bereich der Quellenarbeit vieles richtig. Es gibt wenige bis gar keine Bücher, die so umfassend mit Quellen arbeiten, wie „Black Dog“. Und doch gibt es mit dem Buch ein Problem: Es gibt jetzt eine Grundlage für die breite Masse, ihre Hunde zu pathologisieren. Jeder kann jetzt auf Grundlage dieses Buches seinen Hund einordnen und irgendeine Form der psychischen Erkrankung ausmachen, wenn er nur danach sucht. Das ist aus mehreren Perspektiven problematisch.
- Eine Pathologisierung ist nicht notwendig. Jeder Hund ist ein Individuum und sollte als solches behandelt werden. Manche Hunde sind reizoffener, manche haben sehr schlimme Erfahrungen gemacht, manche Hunde kommunizieren eskalativer als andere, manche Hunde sind ängstlicher, manche Hunde sind mutiger und manche Hunde sind insgesamt sehr resilient. Den Hund als Individuum zu betrachten, bedeutet, zu sehen, was er braucht. Stellen wir fest, dass ein Hund sehr stark unter seinen Lebensbedingungen leidet, kann ein Verhaltenstierarzt hinzugezogen werden, der sich um eine angemessene medikamentöse Unterstützung des Hundes bemüht. Dafür braucht es keine Pathologisierung. Es genügt, festzustellen, dass der Hund so nicht zurechtkommt und bisherige Ansätze auch keine signifikante Besserung bringen.
- Die Pathologisierung schadet! Wir wissen, dass Hunde, die unerwünschtes Verhalten zeigen, sehr oft auch körperliche Erkrankungen aufweisen. Gehen wir davon aus, dass der Hund so ist, weil er eine psychische Erkrankung hat, kann die gründliche Abklärung von körperlichen Leiden verloren gehen, weil wir meinen, die Ursache für das Verhalten bereits zu kennen. Auch bei Menschen ist es so, dass körperliche und psychische Leiden häufig Hand in Hand gehen. Anstatt die Psyche der Hunde zu Pathologisieren, hätte auch darauf aufmerksam gemacht werden können, dass auch Hunde unter unerkrannten Erkrankungen leiden. Und dass dieses Leiden behoben werden muss, um das Wohlbefinden zu steigern.
- Die defizitäre Darstellung von psychischen Erkrankungen, fördert die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen beim Menschen. Im Bereich psychische Gesundheit wird viel dafür getan, psychische Erkrankungen eben nicht als Störung zu klassifizieren. Es geht darum, darzulegen, dass es sich um Menschen handelt. Menschen die aktuell oder dauerhaft andere Bedürfnisse haben als der Durchschnittsmensch. Deswegen sind sie weder besser noch schlechter. Eine Deifiztäre Darstellung erhebt den resilienten Durchschnittshund über die anderen Hunde, die diesem Ideal nicht entsprechen können und setzt an einem Umgang mit psychischen Erkrankungen an, der trennend statt verbindend ist.
- Manche Quellen werden stark überstrapaziert. Anstatt festzustellen, dass es in diesem Bereich noch viel Forschung bräuchte und es aktuell z. B. für den OffLabelUse von bestimmten Medikamenten noch keine wissenschaftliche Grundlage gibt und daher auch nicht zu empfehlen ist, dies durchzuführen, werden einzelne Fallbeispiele mit wenigen Hunden als Maßstab dafür genutzt, wie mit diesen psychischen Erkrankungen umzugehen ist. Ein Fallbeispiel mit einem Hund bei einem Verhaltenstierarzt, von dem wir wissen, dass er dem aversiven Lager angehört, reicht bei weitem nicht, um Evidenz für eine Therapie zu schaffen [S. 80][6].
Das Buch „Black Dog“ leistet Pionierarbeit im Bereich der Quellenarbeit. Insgesamt stellt das Buch einen Rundumschlag im Bereich der psychischen Erkrankungen dar. Leider ist die Darstellung dabei Defizitär und es fehlt an Eindordnung der Quellen- und der Studienlage. Die Praxis als Hundetrainerin zeigt, dass es genug Halter*innen gibt, die das Buch als Grundlage verwenden, um ihren Hunde zu pathologisieren und so eine Rechtfertigung für das Verhalten ihres Hundes zu haben. Das kann helfen, um den gesellschaftlichen Druck herauszunehmen. Es kann jedoch auch dazu führen, dass die Entwicklungsmöglichkeiten des eigenen Hundes eingeschränkt werden und nicht weiter an den Themen gearbeitet wird, um dem Hund dort zu helfen, wo er es braucht.
Aus meiner Perspektive wäre es sinnvoller gewesen, die einzelnen Themen als eigene Bücher zu behandeln und nicht alles in ein Buch zu packen und auf wenigen Seiten abzuhandeln. So, wie es jetzt erschienen ist, fehlt der Raum für die wissenschaftliche Einordnung der Quellenlage und den umfangreichen Umgang mit individuellen Bedürfnissen des Hundes. Das mag Kritik auf sehr hohem Niveau sein, als Betroffene von psychischen Erkrankungen, war mir vor allem wichtig, auf die defizitäre Darstellung hinzuweisen und aufzuzeigen, es es nicht möglich ist, eine korrekte Pathologisierung auf zehn Seiten pro Thema abzuhandeln. Das Buch stellt einen ersten Impuls dar, der wichtig ist. Wünschenswert wäre jedoch, wenn es dabei die Forschungslücken aufzeigen würde, damit dort gezielt Ressourcen investiert werden können, um den Forschungsstand und das Wissen über die Psyche unserer Hunde zu verbessern.
Quellen
[1] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (10.06.2025)
[2] Psychologie studieren (10.06.2025)
[3] Definition Verhaltenstherapie (10.06.2025)
[4] Aktionsbündnis Seelische Gesundheit (10.06.2025)
[5] Rezension Amazon (24.10.2024)