Was Hunde brauchen

Die Bedürfnispyramide

Diese Pyramide beschreibt die Grundbedürfnisse von Hunden. Grundbedürfnis bedeutet, dass es sich um das Minimum handelt, was Hunde brauchen. Es ist daher wichtig, dass Hundehalter*innen diese Pyramide und ihre Bedeutung kennen, um das Wohlbefinden des eigenen Hundes zu steigern.

Unerwünschte Verhaltensweisen haben ihre Ursache nicht selten in unerfüllten Grundbedürfnissen. Das bedeutet, dass es in der Verhaltenstherapie gar nicht immer darum geht, am unerwünschten Verhalten zu arbeiten, sondern die Grundbedürfnisse des jeweiligen Individuums zu erkennen und Defizite auszugleichen.

Körperliche Bedürfnisse

Die Bedeutung der körperlichen Grundbedürfnisse sollte nicht unterschätzt werden. Körperliches oder psychisches Unwohlsein ist in Bezug auf unerwünschte Verhaltensweisen im Allgemeinen [1] und Aggressionsverhalten im Besonderen sehr gut erforscht und der Zusammenhang ist unübersehbar. So zeigen z. B. Studien, dass bei Hunden mit Aggressionsthema zu 60-80% eine Schmerzthematik mitspielt. [2] Daher gehört ein umfassender Gesundheitscheck-Up zur Verhaltensberatung zwingend hinzu.

Wenn dein Hund also unerwünschte Verhaltensweisen zeigt, gilt es als allererstes zu überprüfen, ob die psychischen und physischen Grundbedürfnisse erfüllt sind und der Hund gesund ist. Wenn ein gelenkkranker Hund z. B. jeden Tag Treppen laufen muss, leidet das körperliche Grundbedürfnis erheblich. Manche Zuchtziele erzeugen auch erhebliche Probleme. So erleben kurznasige Hunde immer!! massive atemnot, was das körperliche Grundbedürfnis dauerhaft und irreversibel beeinträchtigt. [3][4] Es kann zwar für Linderung gesorgt werden, aber Atemnot bleibt Atemnot. Wenn man sich also einen kurznasigen Hund holt, muss man sich im Klaren sein, dass dieser Hund permanenten Mangel bezüglich der Erfüllung der körperlichen Grundbedürfnisse erlebt.

Auch wenn du einen Hund hast, der keine genetischen oder züchterischen Defekte hat, so solltest du jegliche körperliche oder psychische Veränderung Ernst nehmen. Wir Halter*innen sind bei unseren eigenen Hunden betriebsblind. Wir sehen erst, dass etwas nicht stimmt, wenn die Symptome schon sehr offensichtlich sind. Wenn du z. B. Schmerzen bei deinem Hund vermutest, weil er unrund läuft, und er zeigt das beim Tierarzt nicht, kann dies daran liegen, dass er Stress erlebt. Bei Stress werden Stresshormone ausgeschüttet, die schmerzlindernd wirken. Denn ein flüchtender Hund darf nicht durch körperliches Unwohlsein an der Flucht gehindert werden. Das schmälert seine Überlebenschancen. Bleib also hartnäckig und lasse deinen Hund gründlich unterschen, wenn du Unwohlsein vermutest. [5]

Ernährung

Natürlich gehört zu den körperlichen Bedürfnissen auch eine bedarfsdeckende Ernährung, immer zugängliches Wasser und Wissen über gesund aussehende Hinterlassenschaften. Hunde können mit Fleisch, vegetarisch oder vegan ernährt werden. Bei all diesen Ernährungen kann es falsch gemacht zu Mangelerscheinungen kommen. Bei BARF kommt es sogar überdurchschnittlich oft zu Mangelernährung. [16] Am Ende gilt es also, sich an den richtigen Stellen (Ernährungstierärzt*innen) zu informieren und beraten zu lassen. [13] Sollte der Kot deines Hundes immer weich sein, ist dies nicht normal. Sollte dein Hund häufig pupsen, ist dies nicht normal. Sollte sich dein Hund ständig kratzen, ist dies nicht normal. Sollte dein Hund ein mäkeliger Esser sein, ist dies nicht normal. In all diesen Fällen solltest du dir professionelle Unterstützung holen. [5]

Sicherheitsbedürfnis

Sicherheit ist ein ziemlich diffuser Begriff. Auch weil Sicherheitsempfinden sehr subjektiv ist. Was das eine Individuum als sicher empfindet, kann vom nächsten als lebensbedrohlich wahrgenommen werden. Je nach dem, woher der Hund kommt, was er erlebt oder nicht erlebt hat und welche Möglichkeiten er in der Situation hat. Grundsätzlich bedeutet Sicherheit aber, dass eine Abwesenheit von Angst, Schmerz und Frustration besteht. Der Duden definiert Sicherheit als “Zustand des Sicherseins, Geschütztseins vor Gefahr oder Schaden; höchstmögliches Freisein von Gefährdungen”[6].

Bei dieser Definition wird klar, dass die körperlichen Grundbedürfnisse ebenfalls eine Rolle spielen. Ein Hund der krank oder verletzt ist, ist nicht frei von Schaden. Je nach Krankheit ist sein Leben auf gefährdet. Das Sicherheitsbedürfnis und die körperlichen Bedürfnisse gehen also Hand in Hand und stellen dafür, was Hunde brauchen, eine enorm wichtige Basis dar. Für das Sicherheitsempfinden von Hunden genügt es übrigens nicht, wenn sie ein Dach über dem Kopf haben. Gerade in Mietwohnungen oder in Familien ist das Sicherheitsempfinden durch Geräusche, die nicht zugeordnet werden können, oder durch übergriffiges Verhalten von Kindern oder den Bezugspersonen gefährdet. Für wirkliches Sicherheitsempfinden zu Hause brauchen Hunde einen oder mehrere ungestörte Rückzugsmöglichkeiten, freiwillige Möglichkeit, sich zurückzuziehen und Abwesenheit von Strafe und Maßregelung.[7] Denn diese funktionieren über die Emotionen Angst und Frustration. Wie du dir denken kannst, schließen sich diese Emotionen und ein Sicherheitsempfinden gegenseitig aus!

Vorhersehbarkeit

Damit sich der Hund sicher fühlen kann, braucht er also schöne Erlebnisse, das Gefühl von Freude und die Möglichkeit, seine natürlichen Fähigkeiten in einem kontrollierten Rahmen ausleben zu können. Auch Erwartungssicherheit gehört zum Sicherheitsbedürfnis dazu. Das bedeutet, dass der Hund stets weiß, was auf ihn zukommt. Je berechenbarer die Umwelt und die Ineraktionen für den Hund sind, desto weniger Stresshormone werden im Alltag ausgeschüttet und der Hund wird ausgeglichener und entspannter. Erwartungssicherheit können wir z. B. ganz leicht dadurch generieren, dass wir Reize und unsere Interaktionen ankündigen und benennen. [8][9]

Soziale Bedürfnisse

Sozialkontakt ist für Hunde sehr wichtig. Hunde sind hochsoziale Lebewesen und es ist für sie nicht natürlich, alleine zu sein. Daher entwickeln auch viele Hunde Trennungsstress: Es gehört nicht zu ihrem Normalverhalten, ohne ihre Bezugsgruppe zu sein. Sozialkontakt ist aber nicht gleich Sozialkontakt. Was Hunde brauchen, ist qualitativ hochwertiger Sozialkontakt: Freund*innen. Zufällige Hundebegegnungen auf dem Spaziergang sind keine Freund*innen. Das, was wir häufig als Spiel wahrnehmen, ist in Wahrheit in den meisten Fällen Konfliktverhalten. Durch Herumalbern deeskalieren die Hunde die angespannte Situation. Dabei sind keine positiven Emotionen im Spiel. [10]

Guter Sozialkontakt entsteht nicht durch zufällige Treffen, sondern durch regelmäßige schöne Kontakte. Schön bedeutet, dass die Hunde gemeinsam ihren Grundbedürfnissen nachgehen können: Schnüffeln, Suchen, Stöbern, Rennen, Spielen, Ruhen, Schlendern, etc. Es finden also Wechsel zwischen Aktivität und Ruhe statt. Manche Hundefreundschaften kommen auch nur mit Schnüffeln und Ruhe aus, weil zum Beispiel einer der Hunde Schmerzen hat und von Direktkontakt nicht profitieren würde. Es gibt also keine pauschalen Anweisungen, wie Kontakte sein müssen. Am Ende entscheidet der Hund, was für ihn erfüllend ist.

Aber Sozialkontakt bedeutet nicht nur Hundekontakte. Hunde sind die einzige Spezies der Welt, die ihre Bezugsperson Artgenossen vorziehen. Die Qualität der Beziehung zu uns Menschen ist also entscheidend und wichtig. Entscheidend ist dabei, dass Hund und Mensch gemeinsam Schönes erleben. [11] Auch im Training. Mehrere Studien belegen, dass das psychische Wohlbefinden unter strafbasiertem Training leidet.[1][12] Daher ist es sinnvoll zu lernen, wie Training ohne Strafe funktioniert. Mit und um den Menschen sollten schöne und freudige Erlebnisse stattfinden. Der Mensch sollte lernen, wie er dem Hund sagen kann, was er tun soll, und wie er vermeiden kann, sich darauf zu konzentrieren, was der Hund nicht tun soll. [7]

Anerkennung und Wertschätzung

Hunde kooperieren wahnsinnig gerne mit dem Menschen. Durch Zucht und Selektion wurden in den letzten Jahrtausenden speziell Hunde vermehrt, die diese Eigenschaft in hohem Maße mitbringen. Konkret bedeutet das: Es wurden Tiere ohne Scheu vom Menschen weitergezüchtet. Die intrinsische Motiviation von Hunden, mit uns Menschen zu interagieren und zu arbeiten ist also hoch. So hoch, dass wir oft vergessen, diese Kooperationsbereitschaft auch entsprechend zu honorieren. Auch wenn Hunde zur Kooperation selektiert wurden, ist Kooperation keine Selbstverständlichkeit. Wie wir Menschen auch, genießen Hunde positives Feedback und ehrliche Freude von uns Menschen. [11]

Ein Lob kann bei manchen Hunden eine bessere Belohnung darstellen als Futter. Weil die Hunde so gerne Sozialkontakt mit dem Menschen haben. Lob und Wertschätzung in Form von Belohnungen erzeugen Freude und Spaß an der Interaktion. Fehlt Anerkennung und Wertschätzung, leidet nachweislich das Wohlbefinden des Hundes und die Stresssymptome steigen. Dies ist auch dann der Fall, wenn Anerkennung und Wertschätzung mit strafendem Training kombiniert wird. Maximales Wohlbefinden braucht die Abwesenheit von Strafe und damit Angst und Frustration. Insbesondere dann, wenn der jeweilige Hund ohnehin schon viel Stress, Angst und Frustration im Alltag erlebt. [1][12]

Selbstverwirklichung

In der Hundetrainingswelt wurde bisher ein wichtiges Grundbedürfnis vernachlässigt oder sogar bewusst ignoriert. Selbstverwirklichung oder auch Selbstwirksamkeit gehört auch zu den Bedürfnissen von Hunden. Das bedeutet, dass der Hund es schafft, durch eigene Kraft Probleme zu lösen. Wenn immer alles vorgegeben und vorgesagt wird, fehlt es an Selbstwirksamkeit. [14] Und sind wir ehrlich: Wenig fühlt sich so toll an, wie wenn wir etwas aus eigener Kraft schaffen. So geht es auch unseren Hunden. Leider wird mancherorts behauptet, dass das, was Hunde bräuchten, totale Kontrolle sei. Dass sie also absolut gar nichts selbst entscheiden dürften. Das ist einerseits für den Hund unbefriedigend, andererseits ist auch der Mensch permanent in der Verantwortung. Dabei wäre es doch schön, wenn unser Hund lernt, Probleme auch aus eigener Kraft zu lösen.

Kontrolle abgeben

Nehmen wir zum Beispiel an, wir unterhalten uns mit Nachbar*innen. Hinter uns nähert sich ein fremder Hund. Anstatt dass unser Hund unsere Anweisung braucht, schafft er es selbständig, sich zu regulieren und zu uns Kontakt aufzunehmen. Das ist für alle Beteiligten entspannter, als den Hund permanent unter Kontrolle und Beobachtung haben zu müssen. Auch handelt es sich bei Haushunden um eine Spezies, die ohnehin nicht viel entscheiden darf. Wir entscheiden, wann und wo wir Gassi gehen. Wo sich der Hund lösen darf. Wann und was er zu fressen bekommt. Mit wem er wie Kontakt haben darf. Wir kontrollieren jeden Aspekt des Lebens unseres Hundes. Dabei können wir ihm auch Eigenständigkeit zugestehen und er wird dadurch insgesamt ausgeglichener. [15]

Wir können ihn zum Beispiel den Weg entscheiden lassen. Wir können ihm die Wahl zwischen verschiedenen Kauartikeln geben. Wir können ihm den Raum geben, um zu entscheiden, ob er Kontakt haben möchte. Wir können die Körpersprache lesen lernen, um auch “Neins” zu sehen und zu akzeptieren. Wir können ihn den Schlafplatz frei wählen lassen. Wir können ihm zugestehen, sich zu lösen, wenn er das möchte. Und und und. All das mag wie Kleinigkeiten wirken. Aber sie erfüllen das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und Eigenständigkeit.

Fazit

Bedürfnisbefriedigung ist im Hundetraining und in der Verhaltenstherapie essenziell. Viele Verhaltensprobleme basieren auf unerfüllten Bedürfnissen, die an anderer Stelle ausbrechen. Das Deckeln von unerwünschtem Verhalten macht genau das, es unterdrückt das Verhalten, es behebt allerdings nicht die Ursache. Richtiges und gutes Hundetraining arbeitet an der Ursache des unerwünschten Verhaltens, damit dieses nachhaltig behandelt werden kann.

Quellen

[1] Ziv, Gal: The effects of using aversive training methods in dogs—A review. 2017.
[2] Hallgren, Anders: Stress, Anxiety and Aggression in Dogs. 2012.
[3] Köhler, Claudia et al.: Vergleich der Gaumensegeldicken von normo- und brachyzephalen Hunden mit Atemnotsyndrom anhand sagittaler CT-Bilder des Kopfes. 2016.
[4] Großmann, Elise et al.: Brachytephalie bei Hunden: Ist Qualzucht messbar? – ein kraniometrisches Verfahren zur Quantifizierung morphologischer Kriterien. 2019.
[5] Del Amo, Celina: Hundeverhalten unter der Lupe: Verhaltensauffälligkeiten und Problemverhalten analysieren, einordnen, verstehen. 2019.
[6] Der Duden: https://www.duden.de/rechtschreibung/Sicherheit
[7] Blogartikel “so lernen Hunde”: https://wickis-starke-pfotenteams.de/hund/erwachsener-hund/so-lernen-hunde/
[8] Blogartikel “Predictability for Reducing Anxiety and Promoting Wellbeing”: https://www.nacwellbeing.org/predictability-for-reducing-anxiety-and-promoting-wellbeing/
[9] Blogartikel “The Power of Predictability”: https://www.psychologytoday.com/intl/blog/origins-health/202211/the-power-predictability?amp
[10] Sprich Hund: https://sprichhund.de/4fs/
[11] Todd, Zazie: Dog Training Methods Affect Attachment to the Owner. 2020.
[12] Vieira de Castro, Ana Caterina et al.: Does training method matter? Evidence for the negative impact of aversive-based methods on companion dog welfare. 2020.
[13] Knight, Andrew et al.: Vegan versus meat-based dog food: Guardian-reported indicators of health. 2022.
[14] Der Duden: https://www.duden.de/rechtschreibung/Selbstverwirklichung.
[15] Leotti, Lauren A. et al.: Born to choose: the origins and value of the need for control. 2010.
[16] Kölle, P. et al.: Raw-meat-based diets (RMBD) as a feeding principle for dogs. 2015.

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1 Kommentar zu „Was Hunde brauchen“

  1. Ich überlege mir einen Hund zuzulegen. Ich habe mich natürlich direkt nach Versicherungen und einem Tierarzt umgesehen. Euer Beitrag hat mir wirklich geholfen zu verstehen, was mein Hund außer dem Tierarzt noch alles braucht. Jetzt freue ich mich noch mehr auf ihn.

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